6.11 Fazit

Chronische Erkrankungen und Behinderung im Kindes- und Jugendalter sind von hoher Public-Health-Relevanz. Sie gehen mit körperlichen und psychischen Beschwerden einher, die von langer Dauer sind und weitreichende Folgen für die Kinder, ihre Familien und die Gesellschaft haben können. Genau beziffern, wie viele Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in der Schweiz eine chronische Erkrankung oder Behinderungen haben, können wir in der Schweiz aber nicht. Auf der Basis der lückenhaften Schweizer Datenlage und Daten aus Europa ist davon auszugehen, dass circa ein Fünftel der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit einer der vielen existierenden chronischen Erkrankungen, chronischen Risikofaktoren oder einer Behinderung leben.

     Eine unkomplizierte Schwangerschaft und Geburt stellen wichtige protektive Ereignisse für chronische Erkrankungen und Behinderung dar. Die Häufigkeit und Langzeitfolgen von Schwangerschaftsproblemen und komplizierten Geburtsverläufen werden noch unzureichend dokumentiert. Ausnahmen stellen das Frühgeborenenregister dar, welches die Entwicklung der Kinder bis zum sechsten Lebensjahr erfasst, sowie EURO-PERISTAT, das die – weiterhin vergleichsweise hohe – Kaiserschnittrate dokumentiert.

     Das Auftreten einiger der aufgeführten Erkrankungen und Behinderungen könnte durch Verhältnis- und Verhaltensprävention verringert werden. Beispielsweise ist das Potenzial der Prävention beim Hautmelanom noch nicht ausgeschöpft. Anders hingegen hat die Jod-Strategie des Bundes zu einer sehr tiefen Prävalenz von Jodmangel im Kindesalter geführt. Seit der Einführung des neonatalen Screening im Jahr 2014 werden Neugeborene mit Jodmangel identifiziert und einer frühen Behandlung zugeführt. Beispiele präventiv wirksamer Strukturen im späteren Kindesalter sind unter anderem kinderärztliche Vorsorgeuntersuchungen oder schulärztliche Präventionsprojekte. Das schulärztliche BMI-Monitoring dokumentiert seit 2005 den BMI der Schulkinder und konnte einen Rückgang der Prävalenz von Übergewicht bei Schulkindern belegen.

     Unter den häufigsten chronischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter in der Schweiz ist dennoch weiterhin Adipositas zu nennen, sowie atopische Erkrankungen wie Asthma, Neurodermitis oder Heuschupfen (siehe Tabelle T6.1). Auch kongenitale Herzfehler, Hypertonie oder entzündliche Darmerkrankungen rangieren mit 1% beziehungsweise circa 2,5% unter den häufigeren Diagnosen.

     Die Datenlage ist insgesamt heterogen. Die Güte und die Repräsentativität der epidemiologischen Daten hängen nicht unbedingt mit der Häufigkeit der jeweiligen Erkrankungen und Behinderung zusammen. So finden sich unzureichende oder veraltete Daten zu Erkrankungen und Behinderung, bei denen man von einer hohen relativen Prävalenz oder sich verändernden Häufigkeiten ausgehen muss (z. B. bei Zerebralparese, Diabetes, Epilepsie) während seltenere und stabil hohe Erkrankungen womöglich sehr gut erfasst werden. Da die Gesundheit von Bevölkerungen ein sich veränderndes und beeinflussbares Gut ist, liegt es auf der Hand, dass für eine evidenzbasierte Prävention und Gesundheitsförderung repräsentative und zeitnahe Daten vorliegen sollten.

     Die Schweiz hat in den vergangenen zehn Jahren verschiedene nationale Strategien formuliert. Die Vulnerabilität von Kindern und Jugendlichen allgemein und insbesondere von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund oder aus belasteten Familien wird unter anderem in der Strategie «Gesundheit 2020» erwähnt. Der Massnahmenplan der NCD-Strategie führt zwar Kinder und Jugendliche als eine der Zielgruppen für Präventionsmassnahmen auf (BAG, 2016). Konkrete Massnahmen finden sich z. B. in Kantonalen Aktionsprogrammen für Kinder und Jugendliche (https://gesundheitsfoerderung.ch/kantonale-aktionsprogramme.html; Modul A: Ernährung und Bewegung, Modul C: Psychische Gesundheit) oder dem BAG Konzept «Gesundheitsförderung und Prävention in der frühen Kindheit». Das NCD-Indikatoren Set bzw. MonAM (https://www.obsan.admin.ch/de/altersgruppen/kinder-und-jugendliche-0-15) bietet zur Zielüberprüfung Indikatoren für Kinder- und Jugendliche und sollte noch weiter ausgebaut werden, um die gesamte Alterspanne als auch die inter-sektoralen Zusammenhänge von Gesundheit darzustellen.

     In der Strategie gegen Krebs werden kaum Massnahmen mit überprüfbaren Indikatoren genannt (BAG, 2013b; Dialog Nationale Gesundheitspolitik, 2016). Die Förderung von Registern ist Teil des nationalen Konzepts zu seltenen Krankheiten (BAG, 2015), von denen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene ebenfalls betroffen sind. Zur Behebung der heterogenen Datenlage und der vielen Lücken wären weitere nationale Register wünschenswert. Es zeigt sich, dass Länder mit einer Vielzahl an medizinischen Registern oder einer nationalen Kinder- und Jugendbefragung oder -kohorte deutlich umfassendere und aktuellere epidemiologische Zahlen ausweisen können, sodass die Krankheitslast und Versorgungsbedarf besser beurteilt werden kann.