8.9 Exzessives Onlineverhalten («Onlinesucht»)

Unter dem Begriff «exzessives Online- oder Internetverhalten» werden viele Erscheinungen subsummiert, so zum Beispiel Gaming-, Porno-, Gambling-, Online-Kauf- oder Social-Media-Sucht. Ein einheitliches Störungskonzept fehlt. Cerniglia und Kolleginnen (2017, S. 174) definieren Onlinesucht sehr breit als «eine nicht-chemische Verhaltenssucht, die eine Mensch-Maschinen-Interaktion mit einschliesst». In den beiden Klassifikationssystemen DSM-5 (psychische Störungen) und der sich in Arbeit befindenden ICD-11-Klassifikation (sämtliche medizinischen Erkrankungen) wird Onlinesucht nicht als Diagnose aufgeführt; dies im Gegensatz zu Spielstörung («gaming disorder»), die in beide Klassifikationssysteme aufgenommen wird. Fachpersonen diskutieren noch immer, ob Onlinesucht ein eigenes Störungsbild ist oder vielmehr eines der Symptome anderer Störungen wie Depression, Impulskontroll-, Zwangsstörungen oder ADHS. Als Folgen von übermässiger Internetnutzung können Konflikte in der Familie und/oder Schule, depressive Symptome oder Schlafmangel auftreten (Jorgenson, Hsiao & Yen, 2016). Zu den systemischen Risikofaktoren zählen dysfunktionale Familienstrukturen oder geringes Monitoring der Internetnutzung durch die Eltern. Persönlichkeitsbedingte Faktoren, die zur Entwicklung einer Onlinesucht beitragen können, sind niedriger Selbstwert, Einsamkeit, aber auch grosse Neugier (Jorgenson et al., 2016).

Unter exzessivem Onlineverhalten (Online- oder Internetsucht) wird ein breites Spektrum an Ausprägungen subsummiert. Es fehlt ein einheitliches Störungskonzept. In der Schweiz wird der Anteil von Jugendlichen (12–19 Jahre), die ein problematisches Onlineverhalten aufweisen, auf 8.5% geschätzt.

     Bei männlichen Jugendlichen ist die exzessive Nutzung von Onlinegames die häufigste Form der Internetsucht, bei weiblichen Jugendlichen spielen soziale Netzwerke eine grössere Rolle. Eine neue Form von Onlineabhängigkeit stellt die Mobiltelefonabhängigkeit dar. Bei dieser – wie auch bei der klassischen Form der Internetsucht – zeigen sich ausgeprägte kulturelle Unterschiede. So nutzen junge Erwachsene aus Nord- und Südeuropa ihr Mobiltelefon exzessiver als Gleichaltrige in Ost- und Westeuropa (Lopez-Fernandez et al., 2017). Auch werden höhere Onlinesucht-Prävalenzraten aus asiatischen, kollektivistisch orientierten Ländern als aus westlichen, individualistisch orientierten Ländern berichtet (Jorgenson et al., 2016).

     In der Schweiz wird der Anteil von Jugendlichen (12–19 Jahre), die ein problematisches Onlineverhalten aufweisen, auf 8,5% geschätzt. Eine weitere Gruppe von 11,5% gilt als gefährdet, 80% weisen dagegen ein unproblematisches Verhalten auf (Willemse, Waller, Suter, Genner & Süss, 2017). Vor allem die Mobiltelefon-, Tablet- und Videogame-Nutzung wird mit problematischem Onlineverhalten in Zusammenhang gebracht. Gemäss der SGB von 2017 weisen 9,2% der männlichen und 8,2% der weiblichen Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 15 und 25 Jahren einen problematischen Internetkonsum auf. Bei der jüngeren Kohorte der 15- bis 20-Jährigen ist problematischer Internetkonsum mit 10,4% weiterverbreitet als bei den 21- bis 25-Jährigen mit 6,9%. Es gibt spezifische Nutzungsmuster innerhalb von sozialen Netzwerken, die auf ein problematisches Onlineverhalten hinweisen können. Heranwachsende, die gefährdet sind, kommunizieren häufiger und spielen öfters Onlinegames innerhalb sozialer Netzwerke. Auch rezipieren Adoleszente, deren Verhalten auf eine Onlinesucht hindeutet, häufiger mediale Gewaltdarstellungen oder waren bereits mit grösserer Wahrscheinlichkeit von Cybermobbing oder -bullying betroffen (Willemse et al., 2017).