3.3 Gesundheit und gesellschaftliche Teilhabe von Young Carers

Einfluss der Unterstützungsrolle auf die Gesundheit und Lebenssituation von Young Carers


In der Schweiz liegen Daten zur Lebensqualität der Young Carers vor. Sie zeigen, dass ihr Wohlbefinden im Vergleich mit Kindern und Jugendlichen ohne Betreuungs- und Pflegeaufgaben leicht geringer ausfällt (Leu et al., 2019). Eine bedeutende Anzahl von vorwiegend qualitativen Studien zeigt, dass die Unterstützungsaufgaben und die damit verbundene Verantwortung für Young Carers in vielen Fällen mit negativen Erfahrungen verbunden sind, sei dies emotional (z. B. Trauer, Angst, Schuld oder Scham [Bjorgvinsdottir & Halldorsdottir, 2014; Leu et al., 2018b]), sozial (z. B. Isolation, Mobbing [Barry, 2011]), körperlich (z. B. Müdigkeit, Rückenschmerzen [Becker & Sempik, 2018]) oder ausbildungsbezogen (z. B. Schulabsentismus, Ausbildungsabbrüche und Teilzeitbeschäftigung  [Becker & Sempik, 2018; Kaiser & Schulze, 2014; Moore et al., 2009]). Bei der Altersgruppe der jungen Erwachsenen wurden deutlich erhöhte Anzeichen für Depression und Angststörungen nachgewiesen (Greene et al., 2016). Dies verringert die Chancengleichheit für Young Carers und kann sich negativ auf die lebenslange Entwicklung auswirken.

     Eine rein defizit- und risikoorientierte Sicht auf die Situation von Young Carers führt jedoch aus Autorinnensicht dazu, die Fähigkeiten und Kompetenzen der jungen Menschen sowie deren Umfeld zu unterschätzen. In den vergangenen Jahren wurde immer häufiger auch positive Aspekte der Unterstützungsrolle beschrieben und erforscht, nämlich persönliche Reife und die Entwicklung eines Verantwortungssinnes, praktische und soziale Fähigkeiten und Kompetenzen, Stolz und ein positiver Selbstwert (z. B. Banks et al., 2001; Cass et al., 2009; Cassidy et al., 2014; Heyman & Heyman, 2013; Joseph et al., 2009; Robson et al., 2006). Sie zeigen das Potenzial dieser jungen Menschen, mit schwierigen familiären Situationen umzugehen.
 

Die Unterstützungsaufgaben und die damit verbundene Verantwortung kann die Chancengleichheit der Young Carers verringern und sich negativ auf die lebenslange Entwicklung auswirken.


     Damit die Bedingungen zur Stärkung der Resilienz von Young Carers genauer verstanden werden können, braucht es weitere Forschungsarbeiten (Joseph, Sempik, Leu & Becker, 2019). Es muss von einem komplexen Zusammenspiel verschiedener Faktoren (u. a. Alter, Unterstützungsaufgaben und -verantwortung, Bewältigungsstrategien), mit betreuter Person (u. a. Unterstützungsbedarf, Beziehung, Inanspruchnahme professioneller Unterstützung), Familie (u. a. Ein-/Zwei-Eltern-Haushalt, Anzahl Geschwister) und dem weiteren Umfeld (u. a. Unterstützung und Verständnis) ausgegangen werden. Je nach Konstellation dieser Faktoren werden positive oder negative Auswirkungen überwiegen.


Bedürfnisse von Young Carers nach Unterstützung


Young Carers gehören als Kinder zu einer besonders vulnerablen Bevölkerungsgruppe. Im Weiteren haben sie aufgrund ihrer Unterstützungsrolle zusätzliche Bedürfnisse. Sie übernehmen eine Rolle, die üblicherweise Erwachsene beziehungsweise Fachpersonen in den unterschiedlichsten Settings wie beispielsweise in Pflegeheimen, Spitälern oder zu Hause haben. Weil sie selten über ihre Situation sprechen und sie ihre Unterstützungsrolle als etwas Selbstverständliches ansehen (Leu, Frech & Jung, 2018), ist bis heute wenig bekannt über ihre Bedürfnisse. Im Rahmen einer schweizweiten repräsentativen Bevölkerungsbefragung im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit wurden erstmalig 2425 betreuende Angehörige über die Lebensspanne (9–96 Jahre) zu ihren Bedürfnissen nach Unterstützung und Entlastung befragt. In der Altersgruppe der unter 16-Jährigen (n = 389) wurde der Reihe nach genannt: das Bedürfnis nach Hilfe für den Notfall, Informationen und Tipps für den Umgang in Notfällen sowie zur Betreuung, Ermöglichung von Hobbies, nach der eigenen Meinung gefragt zu werden (Otto et al., 2019). Die betreuenden jungen Erwachsenen (16–25 Jahre) nannten als erste Priorität ebenfalls Hilfe bei einem Notfall, gefolgt von Hilfe für die Familie und andere Personen, Geld/Versicherungen, Gesprächen mit Fachpersonen sowie Austausch mit Personen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden (Otto et al., 2019).